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Allgäuer Anzeigeblatt vom 31.10.2011 | |||
„Widerstand
gegen den Verfall der Menschlichkeit Seit
rund sieben Jahren befasst sich der ehemalige Lehrer am Gymnasium in
Oberstdorf, das den Namen der Dichterin trägt, intensiv mit ihrem
Leben und Werk. Von le Fort, im westfälischen Minden geboren, lebte
rund 30 Jahre lang bis zu ihrem Tod in Oberstdorf. Am Dienstag, 1.
November, jährt sich ihr Sterbetag zum 40. Mal. Bekannt
geworden ist die Schriftstellerin 1924 durch den Gedichtband
„Hymnen an die Kirche“. Damit sei sie, so Schäfer,
„schlagartig in die europäische Literaturszene
hineingewachsen“. Zeitlebens genoss sie große Anerkennung,
erhielt zahlreiche Auszeichnungen, verkehrte mit Persönlichkeiten
wie Carl Zuckmayer, Arthur Maximilian Miller oder Hermann Hesse, der
sie 1949 sogar für den Literaturnobelpreis vorschlug. Für Manfred
Schäfer, der Philosophie, Theologie und Germanistik studiert hat,
gilt Gertrud von le Fort „als eine der bedeutendsten
deutschsprachigen Dichterinnen in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts“. Sie war, sagt Schäfer, in erster Linie eine
gesellschaftskritische Autorin, und „der Glaube war die Basis, um
Lebenssituationen zu interpretieren.“ Von le Fort wurde
evangelisch getauft, konvertierte aber im Alter von 50 Jahren zur
katholischen Kirche, was viele ihrer Bekannten irritiert habe. Doch
die Dichterin habe immer betont, dass es kein Übertritt, sondern
ein Eintritt gewesen sei: Für sie sei, so Diplom-Theologe Schäfer,
die evangelische Kirche ein Teil der katholischen Kirche gewesen.
„Von Grund auf ökumenisch“, meint Schäfer, der sich selber
auch als „Grenzgänger“ bezeichnet: Er wurde ebenfalls
evangelisch getauft, aber bereits im Alter von sechs Jahren
konvertiert. Gertrud
von le Fort war mehrfach in Rom, zeigte sich beeindruckt vom Papst
und dem Vatikan als beständige Größen in wirren Zeiten, schätzte
nach eigenen Worten „die Erhabenheit der Liturgie, die
Unwiderlegbarkeit der letzten Glaubensgründe“. Im „Dritten
Reich“ konnte die Dichterin ungehindert publizieren, ihre Bücher
wurden nicht verbrannt, durften aber nicht ausgeliehen werden. Schäfer:
„Die Nazis wussten mit ihr nichts anzufangen.“ Wohl auch, weil
sie ihre Gesellschaftskritik in historischen Stoffen verpackte. In
der 1931 erschienenen Novelle „Die Letzte am Schafott“, später
verfilmt und Grundlage für eine Oper von Francis Poulenc, werden
die Ereignisse in die Zeiten der Französischen Revolution verlegt.
Doch der beschriebene „ Verfall der Menschlichkeit“, die
„existentielle Bedrohung durch Massenpsychosen“ seien gegen
Bolschewisten und Nationalsozialisten gerichtet gewesen, sagt Schäfer.
Auch die Erzählung „Die Consolata“, im Krieg geschrieben und
aus Angst vor den Nazis unter dem Fußboden in Millers Haus
versteckt, habe in der Darstellung des Tyrannen Ansedio in Hitler
ein direktes Vorbild gehabt. Damit sei die Vertreterin einer
„christlichen Widerstandsliteratur“ weit entfernt gewesen von
einer „naiv-frömmelnden Schriftstellerin“, stellt Manfred Schäfer
fest. Zumal sie mit dem Roman „Das Schweißtuch der Veronika“
fast auf den Index gekommen sei, weil sie nach Ansicht der Kirche
das Sakrament der Ehe zur Disposition gestellt habe. „Absolut
lesenswert“, beurteilt der Germanist die Werke der Gertrud von le
Fort, auch wenn es „keine leichte literarische Kost“ sei. Sie
studierte Theologie, Geschichte und Kulturgeschichte in Heidelberg,
Marburg und Berlin. 1922 zog sie mit ihrer Schwester nach Baierbrunn
bei München und schließlich aus gesundheitlichen Gründen 1940
nach Oberstdorf. Dort starb sie am 1. November 1971 ohne Nachkommen
im Alter von 95 Jahren. |
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